Die Natur im Bibeltext
im Vergleich zur heidnischen Antike
Vorbemerkung:
Anlass für diese kurze Untersuchung war ein Kapitel in Al Gores Buch “Earth in the Balance”, das sich mit den geistigen Vorraussetzungen ökologischen Denkens auseinandersetzt. Dort versucht der damalige Senator, die Religionen, vor allem die christliche, gegen den Vorwurf in Schutz zu nehmen, sie seien im Kern naturfeindlich. Diesen Schwarzen Peter schiebt er statt dessen den Philosophen – vor allem Plato – zu.
Uneingestandenes Ziel dieses Vorgehens scheint es zu sein, die heute weit verbreiteten christlichen Werte und Moralvorstellungen als Grundlage einer ökologischen Ethik auszuweisen. Die Ausweitung einer vorhandenen Ethik auf die Natur erscheint Gore – wohl mit Recht – einfacher und leichter vermittelbar als die Propagierung einer von Grund auf neuen “ökozentrischen” Ethik.
Gore führt zu Beginn seiner Argumentation die seiner Ansicht nach irrige These an (242 f.), wonach die derzeitige Öko-Krise einem tiefgreifenden Werteverlust entspringe. Kern dieser Behauptung sei es, daß unsere Entscheidungen im Bezug auf die Umwelt jeglicher ethischen Grundlage entbehrten. Da nun die Werte der westlichen Welt im wesentlichen der jüdisch-christlichen Tradition entstammten, führe diese Haltung (oft begründet mit dem Genesis-Zitat: “Macht euch die Erde untertan”) zu einer fundamentalen Kritik am christlichen Weltbild. Danach verlange die vom Christentum vertretene Moral ein arrogantes Verhalten gegenüber der Natur.
Der damalige Senator räumt zwar ein, daß unsere Zivilisation darauf beruht, daß wir die Natur in der Regel ausbeuten, ohne auf die ökologisch Folgen unseres Tuns zu achten. Daran seien aber keineswegs die großen Weltreligionen schuld. Sie schrieben vielmehr die Sorge für die Natur vor. Den Kritikern der christlichen Ethik hält Gore mangelnde Kenntnis der Bibel und anderer theologischer Schriften vor. Daher versucht er vor allem anhand von Bibelstellen eine Verteidigung des jüdisch-christlichen Gedankenguts.
Die Bibel
Das zentrale Problem bei der Einschätzung der Bibelstellen besteht darin, daß es sich dabei Texte handelt, die über Jahrhunderte hinweg zusammengestellt und bearbeitet wurden. Auch liegen für Forscher die Absichten der Autoren keineswegs so offen, wie für gläubige Christen. Um nur ein Beispiel zu nennen: Siegmund Freud vertrat – wie auch andere jüdische Gelehrte seiner Zeit – die These, Moses sei kein Jude, sondern Ägypter gewesen. Darüber hinaus glaubte der Psychoanalytiker, Moses habe die Juden als Vehikel benutzt, um die aufgeklärte Hochkultur der eben untergegangenen Echnaton-Ära zu bewahren. Er wollte sie zu Ägyptern machen, indem er ihnen den Monotheismus, den Moralkodex des Aton-Kultes und den Brauch der Beschneidung brachte.
Nicht weniger kompliziert verhält sich die Situation bei den Naturvorstellungen in der Bibel. Dabei sind drei Grundhaltungen festzustellen. Das grundsätzliche Verhältnis zur Natur wird in der Genesis festgelegt. Die Harmonisierung dieser theologischen Vorgabe in das Naturverständnis des jüdischen Volkes geschieht in den Psalmen Davids, während das Buch Levitikus all die praktischen Regeln für den ökologischen und ökonomischen Umgang mit Äckern, Wäldern und Haustieren, kurz: dem kultivierten Teil der Natur.
Die Entstehung der christlichen Morallehre setzte schon rasch die Geltung des Buchs Levitikus außer Kraft, das im wesentlichen als Nachschlagewerk für jüdische Priester in allen Fragen der Moral und des Ritus diente. Da jedoch der Begriff des “Leviten-Lesens” nach wie vor im Umlauf ist, darf davon ausgegangen werden, daß es dennoch nicht wirkungslos blieb. Inwieweit jedoch bis in unser Jahrhundert befolgte Regeln wie die, wonach ein Bauer seine Felder nicht bis zum letzten Rand abernten soll, damit noch etwas für die Armen bleibt, auf Levitikus 19,9 zurückzuführen sind, dürfte kaum zu klären sein. Schwierig zu beurteilen ist auch der ökologische Gehalt der Levitikus-Regeln auch deshalb, weil sie meist religiöse, soziale und landwirtschaftliche Notwendigkeiten vereinen. So besagt die Formulierung “Aber im siebten Jahr soll das Land eine vollständige Sabbathruhe zur Ehre des Herrn halten” (Lev 25,4) nichts darüber, ob hier Gottesdienst in Form von Einschränkung verlangt ist, die Natur erhalten oder dem Besitzer durch ein Brachjahr genutzt werden soll.
Ein weiteres Problem, das vor allem in der Genesis und den Psalmen zum Tragen kommt, rührt daher, daß von der ersten Bibelzeile an heidnisch-antikes Geistesgut mit jüdischen Traditionen kollidiert, die von Priestergelehrten immer wieder den theologischen und moralischen Bedürfnissen ihrer Zeit angepaßt wurden.
Gore nimmt zwar die Gegensätze zwischen griechischem und jüdisch-christlichem Denken wahr, erwähnt aber nicht, daß diese beiden zum Teil widersprüchlichen Weltbilder sich schon in der Bibel selbst finden. So bringt die heidnische Antike der Natur große Hochachtung, aber auch Furcht entgegen, weil sie die ewige, unendliche und unentrinnbare Ordnung darstellt, in die der Mensch hineingeboren wird und in der er sich zurechtfinden muß. Nach Plato verliert diese Ordnung jedoch an Strenge, je tiefer man zum Kern der Natur vordringt. Nur das Denken sei imstande, zum Wesenskern dieser Ordnung zu gelangen, der der reine Geist, das Reich der Ideen ist. Die sichtbare Welt sei dagegen lediglich ein unvollkommenes Abbild dieses Reichs.
Nach der jüdischen Tradition wurden dagegen Natur und Mensch in ähnlicher Weise von Gott geschaffen. Insofern sie Geschöpfe sind, sind Mensch und Natur gleich. Dennoch steht der Mensch weit über allen anderen Geschöpfen der belebten Natur. Zum einen ist er mit einem freien Willen begabt, und zum anderen sind die anderen Geschöpfe extra für ihn geschaffen worden. Sie sind, boshaft formuliert, die mißlungenen Versuche Gottes, Lebensgefährten und Helfer für Adam zu schaffen. Erst Eva erfüllt diesen Zweck. Zudem gibt Gott den Menschen explizit den Auftrag, über die Lebewesen zu herrschen, wie im folgenden zu zeigen sein wird.
Diese widersprüchlichen antiken und genuin-jüdischen Vorstellungen spiegeln sich in der Bibel wider. So beginnt bereits die Genesis mit zwei verschiedenen Schöpfungsdarstellungen, wobei die in der Bibel zuerst angeführte die jüngere, auf antike Kosmologie zurückgreifende Variante darstellt. Unmittelbar darauf folgt die ältere, die mehr der jüdischen Tradition verbunden ist.
Die Herausgeber der hier verwandten Einheitsbibel lassen beide Varianten mit dem Argument gelten, daß lediglich unterschiedliche Aspekte betont würden. Dabei beziehen sie sich jedoch nicht auf das Verhältnis Mensch-Natur, sondern auf die sich widersprechende Reihenfolge der Schöpfungsakte. Im jüngeren Text steht die Erschaffung des Menschen am Ende des Sieben-Tage-Werks, in der anderen Version wird Adam vor den Tieren und Pflanzen, denen er als Zeichen der Herrschaft Namen gibt, geschaffen. Zum Schluß kommt Eva.
Diese unterschiedliche zeitliche Abfolge ist keineswegs nebensächlich. So ist für die griechisch-römische Antike, die davon ausgeht, daß der Mensch in eine fertige Natur hineingeboren wurde, das Naturrecht ein von den Menschen geschaffenes, das klar von dem der Tiere und Pflanzen getrennt ist. Daher lag der Gedanke nahe, daß die Ethik zwar das Verhältnis zwischen Menschen nicht aber das zu den Tieren beschreibe.
Bei den Juden dagegen hat Gott höchstselbst im Schöpfungsakt das Verhältnis zwischen Mensch und Lebewesen als Herrschaft des einen über die anderen festgelegt. Dabei ist Herrschaft lange Zeit durchaus mit der Verpflichtung zur Fürsorge für die Mitgeschöpfe verbunden.
Im Christentum führt jedoch die Akzeptanz der heidnisch-antiken Naturrechtslehre dazu, daß die Lebewesen immer weniger als zum eigenen Rechtsbereich gezählt werden. Der Herrschaftsanspruch gegenüber den Lebewesen bleibt gleichwohl erhalten, so daß sie langsam auf den Status von rechtlosen Besitztümern absinken.
Wer nun ein Urteil über die Haltung der Bibel oder der darauf beruhenden Religionen zur Natur ableiten will, muß herausfinden, welche der beiden Traditionslinien bei der Rezeption die Oberhand behält. Das ist hier nicht zu leisten. Klar wird im folgenden lediglich, daß eine eindeutige Indienstnahme der Bibel für ökologische Standpunkte nicht möglich ist. Außerdem führt ihre Durchmischung mit heidnisch-antikem Gedankengut dazu, daß auch eine Polarisierung in eine naturferne Antike und eine naturnahe Bibel, wie Gore sie nahelegt, nicht funktioniert.
Für das Christentum gilt heute der Mensch als der Verwalter von Gottes Schöpfung. Gore (S. 243 f.) sieht in dieser Rolle keinen Widerspruch zu der Stelle, an der es heißt, daß die Menschen sich die Erde untertan machen sollen, weil die Heiligkeit der Schöpfung, da sie von Gott ist und ihm weiterhin gehört, als erhaltenswert gilt. Diesem Gedankengut, so meint Gore – wohl nicht zu Unrecht -–seien die von ihm erwähnten ökologischen Streiter verpflichtet. Sie hätten “im Grunde ihres Herzen die Verbindung zwischen Besitz (dominion) und Fürsorge (stewardship)”, vollzogen.
Einen Beleg dafür, daß mit “dominion” nicht gemeint sein könne, daß die Erde der Menschheit gehöre, findet er (S. 244) im Psalm 24, wo alles Eigentum letztlich Gott zugesprochen wird. Das ist zwar korrekt zitiert, läßt sich aber keineswegs in dem Sinne verstehen, daß Mensch und Natur auf einer Stufe stünden. Vielmehr ist die Natur (lt. Genesis s.o) explizit für den Menschen geschaffen worden, der den Lebewesen als Zeichen der Herrschaft die Namen gegeben hat. Mensch und Natur sind nur insofern gleich, als sie beide Schöpfung Gottes sind. In der Rangfolge der Schöpfung rangiert der Mensch klar oben. Das geht soweit, daß Gott den Lebewesen “Furcht und Schrecken” (Genesis 9,2) vor den Menschen einhaucht.
Als Argument eignet sich der David-Psalm aber vor allem deshalb nicht, weil die Natur dort nicht um ihrer selbst willen angeführt wird. Der Anlass ist die Erinnerung an den Einzug der Bundeslade in den Tempel und der damit verbundene “Einzug des Herren in sein Heiligtum”, wie auch die Überschrift des Psalms lautet. David verherrlicht darin den Herrn als größten aller Herrscher, dessen Größe sich daran ablesen lasse, daß er die Natur geschaffen und ihr eine perfekte Ordnung gegeben hat, während David selbst als Ordnungsstifter unter den Juden große Mühe hat. Der Psalm endet: “Wer ist der König der Herrlichkeit? Der Herr der Heerscharen, er ist der König der Herrlichkeit.”
Trotzdem läßt sich diesem Psalm und besser noch dem Psalm 104 (Loblied auf den Schöpfer) entnehmen, daß die Übernahme der antiken Vorstellung von der verblüffenden Wohlgeordnetheit der vielfältigen Natur zu einer hochlyrischen Verehrung des genialen Schöpfers führt. Für einen modernen Leser scheint die Detailfreude der Darstellung und der liebevolle Ton auch auf die Natur abzufärben. Ob auch frühere Hörer im jüdischen Gottesdienst unter diesem Eindruck standen, ist schwer zu sagen. Klar ist jedoch, daß diese Form der Bewunderung für die Schöpfung und die Tatsache, daß die Menschen ebenso Gottes Geschöpfe sind, die Juden vor einer im sonstigen Mittelmeerraum oft manischen Angst vor den Naturkräften bewahrt hat. Die Natur wurde nicht, wie etwa in Lukrez´»De rerum natura«, als Feind betrachtet.
Weiter führt Gore (S. 244) die Arche Noah als Beispiel dafür an, daß Gott mit der paarweisen Aufnahme jeder Gattung Tier die Vielfalt des genetischen Pools erhalten wollte. Auch wenn Gore den Ekel Gottes vor seiner eigenen Schöpfung verschweigt, die laut Bibel zur Sintflut führte, stimme ich ihm doch bei, daß sich hier die Ahnung Moses´andeutet, jedes Lebewesen habe seinen Wert im Netzwerk der Abhängigkeiten der Natur. Die Hoffnung auf ökologisches Gedankengut wird noch einmal an der auch von Gore erwähnten Stelle genährt, an der Gott die Sintflut bereut und verspricht (Genesis 8,22): “Solange die Erde besteht, sollen nicht aufhören Aussaat und Ernte, Kälte und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.”
Allerdings liest sich zumindest die Passage von der Aussaat und Ernte nicht als Dauerhaftigkeit von Natur denn als Dauerhaftigkeit der Kultur des Ackerbaus, wie er seit sich als Nachfolge der Jäger- und Sammler-Gesellschaft etabliert hat. Der Kain-und-Abel-Konflikt widerspricht allerdings der hier angedeuteten Spekulation, dass die Sintflut als Bild der neolithischen Revolution gedient haben könnte. Allerdings wird dieser Agrargesellschaft das Wort geredet, da das ganze Zwischenspiel mit der Arche lediglich der Vorbereitung für den neuen Bund dient, in dem die Natur wieder und diesmal ganz deutlich die Dienerrolle für den Menschen zugewiesen wird: Genesis: 9,2: “Furcht und Schrecken vor euch (Menschen) soll sich auf alle Tiere legen” … und Genesis: 9,3: “Alles Lebendige, das sich regt, soll euch zur Nahrung dienen. Alles übergebe ich euch, wie die grünen Pflanzen.”
Daß Gott dennoch die Sorge auch um seine nicht menschlichen Geschöpfe nicht aufgibt, ja sie verstärkt, zeigt sich – wie auch Gore betont (S. 245) – darin, daß sie in den neuen Bund mit eingeschlossen sind. Denn auch ihnen verspricht er, sie nie wieder mit einer Sintflut zu bestrafen.
Trotz dieser laut Gore “klaren” biblischen Botschaften, hätten auch Priester lange Zeit unter dem scheinbaren Diktum, daß die Erde dem Menschen gehöre, dem Fortschritt der “Kettensägen” den Segen erteilt. Und Gore hat recht, wenn er erleichtert hinzufügt, daß sie heute einen naturfreundlicheren Kurs vertreten. Daß sie damit im Einklang mit der Bibel stehen, steht nach Gores etwas sehr geradliniger Bibelinterpretation fest. Er kritisiert jedoch, daß die meisten Theologen der Natur dennoch nicht die nötige Beachtung innerhalb ihres Glaubens widmen. Den Grund sieht er darin, daß sie und viele andere Denker einer aus der griechischen Philosophie herrührenden Auffassung anhingen, wonach eine scharfe Trennlinie zwischen der Menschheit und dem Rest der Natur existiere.
Über das Bild der Natur in der Bibel läßt sich an dieser Stelle soviel sagen, daß sie vor allem im Alten Testament thematisiert wird und daß in der Darstellung griechisch-antiker Vorstellungen eine zunehmend wichtigere Rolle spielen. Aus der Sicht heutiger Naturdeutung nimmt sich dieser Einfluß durchaus positiv aus, denn er zeigt sich vor allem in der lyrisch überhöhten Bewunderung von Schönheit und perfekter Ordnung der Natur. Gleichzeitig verhindert die jüdische Grundüberzeugung aus der Genesis, daß alle Lebewesen, wie der Mensch Geschöpfe sind, daß die sonst im Mittelmeerraum verbreitete Angst vor der Natur auch Judentum prägt. Diese selbstbewußtere Haltung gegenüber der Natur rührt aber auch daher, daß diese dem Menschen untergeordnet wurde. Sie ist von Gott als Diener der Menschen eingesetzt.
In der Folge wird die Natur nicht als Gegner empfunden, der man die Möglichkeiten zum Überleben abringen muß. Daß der Mensch seinen Unterhalt im “Schweiße seines Angesichts” verdienen muß, ist vielmehr ein Gebot Gottes, keine Folge einer – wie in der Antike – vorgegebenen natürlichen Ordnung, in die sich der Mensch einfügen muß.
Obwohl die Psalmen als Teil des Gottesdienstes gelesen wurden, drängt sich dem heutigen Leser der Eindruck auf, daß sich in der dortigen durch Naturpreisung vermittelten Gottesverherrlichung eine “kreatürliche” Liebe zur Natur Bahn bricht. Solche romantischen Vorstellungen mögen richtig sein, müssen jedoch insofern hinterfragt werden, als die Autoren der Psalmen Intellektuelle waren, denen nur wenig andere Metaphern als solche aus der Natur zur Verfügung standen, um die Vollkommenheit Gottes in der wahrnehmbaren Wirklichkeit darzustellen.
Ein wesentlicher Unterschied zwischen unserer heutigen und der alttestamentarischen Naturvorstellung liegt darin, daß in letzterer Erde (Staub) als unbelebtes, aber belebbares Urmaterial gesehen wird. Als unbelebt wird sie – wie auch Licht und Wasser – streng von den Geschöpfen wie Tieren und Pflanzen getrennt.
Die Trennung von Mensch und Natur
Im dritten vorchristlichen Jahrhundert eroberte Alexander der Große den nahen und mittleren Osten und Asien bis hin nach Indien. Als Folge dieses Feldzugs hat sich nicht nur die griechisch-antike Gedankenwelt verbreitet, sondern mit dem Konzept des Flächenstaates war auch der Boden für die stoische Ethik bereitet. Diese erhebt erstmals Anspruch auf universale Geltung, während Ethik sich bisher darauf beschränkte, die Verhältnisse unter den Mitgliedern einer Gruppe, der Polis oder des Stammes zur regeln. Außerdem war seit der Zeit Alexanders das Griechische bis lange ins Mittelalter die Sprache des gesamten östlichen Mittelmeerraumes. 650 Jahre nach der ersten Niederschrift der oben angesprochenen Stellen aus dem alten Testament, eroberten Alexanders Truppen – kampflos – auch Jerusalem. In der Folge konnte damals – zu Lebzeiten Aristoteles – griechisches Gedankengut ziemlich frei in die Geisteswelt der Juden eindringen konnte.
Laut Gore beruht der Erfolg der griechischen Philosophie vor allem darauf, daß sie sich als logisches Instrument auch für andere religiöse und kulturelle Traditionen eignet (248). Über die griechische Sprache erfolgte auch die Rezeption der beiden berühmtesten griechischen Philosophen: Plato und Aristoteles. Sie unterschieden sich, so nicht nur Gore (249), vor allem durch ihre Deutung des Verhältnisses von Geist und Physis, oder in Gores Worten von Menschheit und Natur: “Plato glaubte, daß die Seele in einer Sphäre unabhängig vom Körper existiert und daß der Denker getrennt von der Welt ist, über die er nachsinnt.” “Aristoteles dagegen dachte, daß alles in unserem Verstand von der sinnlichen Wahrnehmung herrührt und daß das Denken eng mit der Welt verbunden ist, über die er nachdenkt.” Diese gegensätzliche Haltung hat die philosophischen Schulen bis in die Neuzeit getrennt.
Es ist richtig, daß die angeführte Kontroverse sich bis fast auf den heutigen Tag durch die Philosophiegeschichte zieht. In der Hauptsache aber, nämlich im Bezug auf die Trennung des Intellekts von der äußeren Welt, herrschte jedoch sowohl zwischen Aristoteles und Plato als auch unter den späteren Interpreten weitgehend Einigkeit. Die Natur des Menschen, die Seele, der Intellekt (Nous) sei eine nur ihm zukommende ganz besondere Eigenschaft, die ihn über die äußere Natur (Physis) erhebt. Die Übereinstimmung mit Plato geht bei Aristoteles soweit, daß er einräumt, an der Idee, daß der Intellekt “abtrennbar” sei, sei “irgend etwas dran”.
Der Grund für diese Übereinstimmung ist in dem menschlichen Bedürfnis zu suchen, sich von den augenscheinlich anderen Lebewesen abzuheben. In der Bibel wird diesem Bedürfnis durch eine klare gottgegebene Hierarchie Rechnung getragen, bei der die Tiere als Begleiter und Helfer dem Menschen untergeordnet sind. Im griechischen Kulturkreis findet sich dagegen seit Homer das Konzept eines “inneren Auges”, das in der Philosophie zum Nous (Denken, Intellekt, Einsicht) ausgebaut wird. Das von diesem Begriff bezeichnete ist jedoch keineswegs so weit von der äußeren Welt entfernt, wie zu unseren Zeiten.
Im Kern ist der Nous der Antike ein sprachliches Konstrukt, das helfen soll die Erkenntnis zu beschreiben, daß es dem Menschen möglich ist, sich einen Frosch vorzustellen, ohne selbst einer zu werden oder ihn im Kopf zu beherbergen. Der Nous ist ein zum Menschen als ganzem gehörender Erkenntnissinn. Ein vom Körper (res extensa) grundsätzlich unterschiedlicher Geist (res cogitans) – wie wir ihn seit dem kartesischen Köper-Geist-Dualismus kennen – ist außerhalb der griechischen Vorstellungswelt.
Dieses Konzept der menschlichen Natur als “essentia intellectualis” wurde zuerst Achill zugeschrieben, von Plato kanonisiert, bei Aristoteles abgeschwächt und schließlich bei Paulus zu einem jenseitig orientierten religiösen Kult ausgebaut. Etwas einfacher formuliert das Brockhaus-Lexikon diese Entwicklung: Platon setzte dem physischen Kosmos die Vernunft (Nous) entgegen. Im Christentum wurde diese Kluft noch größer, weil Gottes unendlicher Geist mit Vernunft gleichgesetzt wurde, während die Natur lediglich eine endliche Schöpfung dieses Vernunftgeistes darstellte.
Doch der Fokus auf Aristoteles und Plato verstellt die Sicht auf die Vielfalt der Naturauffassungen in der heidnischen Antike. So verklärt der aus Indien stammende und seit Hesiod weitverbreitete Mythos vom “Goldenen Zeitalter” die ursprüngliche Natur zum Paradies. Noch weiter verbreitet war jedoch die ebenfalls von Hesiod übermittelte Einstellung, wonach die Natur zwar schön, bewunderungs- und liebenswert sei, gleichzeitig aber wild, so daß sie kultiviert werden muß.